Cord Machens: "James Rizzi in Braunschweig - Glücksfall oder Fehlbesetzung"

Braunschweig

Umfahren - Durchfahren - Einfahren

Immer einfacher ist es geworden, Braunschweig zu vermeiden. Die schnellen Züge bevorzugen Wolfsburg, die Autobahn A2 erlaubt den Blick auf Hafenanlagen und Gewerbebauten, der Rest der Strecke ist verlattet, und die Führung der B4 von Wenden nach Rühme ist ein Meisterwerk an Undurchschaubarkeit. Wenn die Osttangente fertig ist, werden wiederum Berlin und Wolfsburg davon profitieren - nur von Westen, so auf Höhe der Hildesheimer Strasse erhält der Neugierige einen Eindruck von der Braunschweiger Stadtsilhouette, und mit etwas Phantasie davon, wie prächtig sie einmal war. Davon ist noch viel geblieben: Wie die Kirchen mit den von ihnen beherrschten Plätzen und die klassizistischen Grünanlagen mit Promenaden und Parks, die an Stelle der barocken Festung die Stadt umwallen. Was aber "erfährt" der, den es in die Stadt verschlägt?

Im Süden liegt das Schlösschen Richmond zu versteckt und die Stadt beginnt mit den Eisenbahnbrücken. Die Wolfenbüttler Strasse ist bis zum Kennedyplatz intakt, doch was ist aus dem stolzen südlichen Entree geworden, denn in Wolfenbüttel residierten die Herren der Stadt? Der Dreistrahl, insbesondere der Bezug vom Löwenwall zum Windmühlenberg ist zerschlagen, ein Verkehrsknotenpunkt wurde aus dem Platz der, gemordet, den Namen eines Ermordeten trägt. Weiter geht es mit elegantem Schwung, die Ägidienkirche im Sichtschatten türmen sich Geschäftsbauten auf, bis es nach Horten steil abfällt. Links die im Verhältnis zur Strassenbreite viel zu niedere Bohlwegfront, rechts: das Problem, der Schloss-park-platz, das Loch, dessen überraschendes Grün dem Vorüberfahrenden Rätsel aufgeben muss. Doch dann kommt schon der nächste Schwung, der Ritterbrunnen, und nach etlichem Belanglosen wird man zwischen BS 4 und "Affenfelsen" zur Hamburger Strasse entlassen, die gar kein Gesicht besitzt.

Von Norden ist es etwas besser. Man erkennt den Charme der Häuser am Wendenwehr und den des Hagenmarkts, und nach dem städtisch engen nördlichen Bohlweg schweift der Blick über den Schlosspark, der dort wie ein Park wirkt, zur Magnikirche und später zum Rizzi Haus. Der Blick nach Süden allerdings ist ein Exempel für Dimension und Massstab im Städtebau. Durch die Geschäftsbauten wurde der Hügel mit St. Ägidien - früher der Blickpunkt - peu a peu degradiert, das anmassende Eigenleben von Horten zerstörte den feinsinnigen Akzent, die differenzierte Gestalt unterliegt dem platten Objekt - so wie es das Happy Rizzi House mit der Magnikirche treiben wird.

Am intensivsten erlebt man das grüne Vakuum durch die östliche Einfahrt. Bis zur Höhe des Wasserturms steigt die Kastanienallee deutlich an, um dann als Helmstedter Strasse zur Oker hin stark abzufallen. Hier ist die Einfahrt über den Fluss und durch den Wall in alter Dramaturgie erhalten, die flankierenden Zollhäuser, das Herzog Anton Ulrich Museum und die noblen Bürgerbauten. Doch hinter dem Magnitorwall verbreitert sich die Strasse unsinnig und endet nach einem weit gezogenen links-rechts-Schwung, der weder etwas mit dem Ort noch mit der Verkehrsbelastung zu tun hat - stumpf auf dem Bohlweg. Ein kurzes Stück Autobahn - Höchstgeschwindigkeit 50 KmH - ohne Ecken und Kanten wie sie ihr Namensgeber Georg Eckert (der Antifaschist, Schulbuchinstitutsgründer und "Brückenbauer" nach Osten) eben besass und wie sie innerstädtische Strassen besitzen müssen, weil sie sich nicht nur auf den Verkehr beziehen dürfen, sondern auf den Fussgänger. Hier aber herrscht Horten und der Schlosspark erscheint als Abpflanzung der überdimensionierten Strasse, ein wirklich gut erschlossenes Vakuum.

Die fünf Weichbilde Altstadt, Neustadt, Hagen, Altewiek, Sack.