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Cord Machens: "James Rizzi in Braunschweig - Glücksfall oder Fehlbesetzung"

Exkurs II

Die Postmoderne: Objekt, Solitär, Collage

Lageplan
O.M. Ungers
(Schlossparkgutachten 1976, Vorschlag 1A)

Die Collage war eine neue Denkweise, die Collage entstand "in dem Augenblick, als das Handwerk im Sterben lag. Sie hat des objet trouvee der "niederen" Kultur in die "hohe" Kunst katapultiert - die Collage ist gleichzeitig unschuldig und verschlagen." (Levi-Strauss & Colin Rowe)

Die alte Stadt, mit ihren verschränkten, ineinander fliessenden Raumkörper, definiert Strassen- und Platzraum. Die moderne Stadt aus Zeiten und isolierten Bauten hebt das Einzelne hervor, der Raum dazwischen ist leer. Während sich die Zeile vom Block ableiten lässt, ist der Solitär im Städtebau neu. Nicht einmal die mittelalterlichen Kirchen standen vereinzelt im Stadtgefüge, man sah ihre Türme als Stadtkrone von weitem, in der Stadt selbst aber waren sie eng zugestellt. Die Freilegung von St. Katharinen auf dem übergrossen Hagenmarkt entspringt denkmalpflegerischem Denken des späten 19. Jahrhunderts. Vor der Kirche stand früher das Hagenrathaus, später die Oper; es gab also drei kleine Plätze an der Kirche. Doch auch in der heutigen Sonderstellung fügt sie sich wie selbstverständlich in die Struktur des Hagens.

Die Stellung des Solitärs ist stolz und dienend zugleich; diese ambivalente Aufgabe erfüllt zum Beispiel auch das alte TU-Hochhaus von Oesterlen. Die Längsfront der schmalen Scheibe steht parallel zum Hauptgebäude und damit zur Pockelstrasse, die Stirnseiten nehmen die Richtung des Rebenringes auf, kurz, das Hochhaus ist als Solitär in die im Winterplan angelegten Orthogonalen eingebunden, das macht es so selbstverständlich am Ort und in die Ferne wirksam zugleich. Was aber macht das BS 4, das neue Hochhaus? Ausgerechnet seine "unfertigen" Seiten stehen "richtig". Die diagonale Hauptfassade hat sich nach dem zufälligen Verlauf der Oker orientiert, so spielt sie Front für eine kurze Strecke der Strasse Am Wendenwehr, aber keine übergeordnete Rolle in der Stadt. Das BS 4 zieht sich auf sich selbst zurück und ist, statt selbstbewusst, unverschämt. Wenn das Gebaute als Skulptur wirkt, der Solitär zum Objekt wird, rückt seine Gestaltung in den Blickpunkt. Das Dilemma der meisten gebauten Objekte ist nicht ihr Anspruch, es ist die architektonische Qualität, die dem Anspruch nicht gerecht wird. Das ist so beim BS 4 und bei Horten und das wird beim Rizzi Haus nicht anders sein.

Da hilft es auch nicht, dass postmoderne Stadtbautheorien die Stadt als Collage begreifen. Damit kommen auf das Objekt noch andere Anforderungen zu, nämlich die historische Dimension. Als Fragment einer Collage vertritt das Objekt einen Typus zu seiner eigenen Geschichte, zum künstlerischen Ausdruck kommt pädagogischer Anspruch.

Piranesi hat als erster die Stadt Rom als Collage gesehen, zusammengewürfelt aus Fragmenten verschiedener Bautypen und Zeiten, und so können Partien jeder grösseren Stadt gedeutet werden, denen eben nicht eine einheitliche Planung zu Grunde liegt, sondern die Heterogenstes in Schichten und Brüchen zusammenführt. Hadrian hat sich so eine ganze Palast-Stadt vor Rom anlegen lassen, Idealtypisches aus alten Gegenden des römischen Reiches, locker gefügt nachgebaut. Eine Zeit-Collage, die Illusion einer lange gewachsenen Stadt.

Das ist ein singuläres Projekt - wie Palma Nova oder Karlsruhe, die geometrischen Stadtutopien auf der anderen Seite - das kann kein Konzept sein, Städte zu entwerfen, obwohl es als Analyse von komplizierten Stadtgestalten faszinierend ist. Collagehaft zu entwerfen, das mag als Strategie für kleinere Quartiere vernünftig sein, für überschaubare architektonische Ensembles. Damit hat Louis Kahn angefangen, und das hat James Stirling in seiner postmodernen Phase zum Beispiel mit dem Wissenschaftszentrum in Berlin artistisch vorgeführt, und das hat Ungers in einigen Varianten des Schlossplatzgutachtens vorgeschlagen. Das heisst, im Braunschweiger Fall, aus der Not eine Tugend zu machen, aus der Interpretation des Hetoerogenen Versatzstücke zum entwickeln, die jedes für sich der städtebaulichen Aufgabe gerecht werden und dazu lehrreiche Geschichten erzählen. Dazu muss jedes Element den Ansprüchen genügen: ein Typ sein, eine Lücke füllen, eine Hoffnung wecken, ohne das Dilemma zu verschweigen.

Die Collage ist die Methode, Fragmente der Utopie zur Stadtreparatur einzusetzen, das erfordert Ernsthaftigkeit und ironische Distanz zugleich, und das ist genau das Gegenteil von Disney-Lands heiter Welt, als Teil derer das Happy Rizzi House daherkommt.


 

Inhalt | Entwurf einer Collage: Oswald Mathias Ungers

 

1999 Richard Borek Stiftung, Theodor-Heuss-Strasse 7, 38090 Braunschweig.
Die 28-seitige Broschüre ist für 2 Mark Schutzgebühr bei Borek am Dom erhältlich.

Magniviertel www.magniviertel.de